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"Konfessionalisierung": ein kirchengeschichtliches Votum von Anselm Schubert I Ich bin gebeten worden, aus kirchenhistorischer Sicht ein wenig zum Forschungsparadigma "Konfessionalisierung" zu sagen, das im Buch von Ute Lotz-Heumann und Stefan Ehrenpreis einfuehrend vorgestellt wird. Immerhin beschaeftigt sich das Konfessionalisierungsparadigma mit einem Gebiet, fuer das sich traditionellerweise die Kirchengeschichtsschreibung zustaendig fuehlt--und damit sind wir auch schon mitten im Problem. Ein Blick in die deutschsprachige Kirchengeschichtsschreibung der letzten Jahre zeigt ein erstaunliches Ergebnis: denn zu einer eigentlichen Debatte um das Konfessionalisierungsparadigma ist es dort anders als in der Allgemeingeschichte, soweit ich sehe, nicht wirklich gekommen. Weite Kreise der Kirchenhistoriker (man denke an nur an die Arbeiten von Dingel, Holzem, Kaufmann, Koch, Leppin, Oelke, Strohm, Venard, Wallmann)[1] haben Begriffe wie "Konfessionelles Zeitalter" oder "Konfessionalisierung" als Epochenkennzeichnung zwar gerne aufgenommen, um sperrige, tendenzioese oder unklare Formulierungen wie "Zeitalter von Reformation und Gegenreformation"--wahlweise "der Glaubenskaempfe", "der Fruehorthodoxie" oder "des Barock"--durch eine griffigere Formel zu ersetzen. Bei naeherem Hinsehen faellt aber auf, dass in diesen kirchenhistorischen Arbeiten eine kritische Auseinandersetzung mit dem dahinterstehenden modernisierungstheoretischen Konzept der Konfessionalisierung unterbleibt.[2] ieser etwas halbherzige Umgang mit dem Konfessionalisierungsparadigma liegt, soweit ich sehe, im Charakter der Kirchengeschichte als Disziplin begruendet. Strukturell ist das Fach Kirchengeschichte im deutschsprachigen Raum bekanntlich nicht eine Unterabteilung der Geschichtswissenschaft, sondern seit seiner Entstehung an den theologischen Fakultaeten angesiedelt und aus sachlichen und funktionalen Gruenden eine Teildisziplin der Theologie. Die Fragestellungen und Begriffe, mit denen die Kirchengeschichte arbeitet, sind deshalb nicht nur ihrer Herkunft, sondern auch ihrer Funktion nach traditionellerweise der Theologie zugeordnet, und legitimerweise sind auch die erkenntnisleitenden Interessen der katholischen und evangelischen Kirchengeschichte ueber weite Strecken theologischer Natur. Schon von daher erklaert sich strukturell eine gewisse Distanz zu einem makrohistorischen Deutungsbegriff der Allgemeingeschichte. Dazu kommt, zumindest fuer die evangelische Kirchengeschichte, dass ihrem theologischen Selbstverstaendnis nach mit dem Konfessionalisierungsparadigma nicht nur die Validitaet eines Forschungsparadigmas sondern die Deutung des von ihr als fuer sich zentral und konstitutiv verstandenen historischen Sachverhaltes zur Debatte steht: der Reformation. Fuer die traditionell zur Theologie gehoerende Kirchengeschichte ist es schwierig, sich vorbehaltlos einem Forschungsparadigma in die Arme zu werfen, das Kirche und Religion nur als historisches Mittel zum Zweck der Modernisierung der Gesellschaft versteht. Die Kirchengeschichte will historische und gegenwaertige Religion und Kirche, theologische Fragen, religioese Anliegen und kirchliche Strukturen wenn nicht als Selbstzweck menschlicher Existenz und Geschichte, so doch sicher auch nicht nur als Mittel zu einem genuin ausserreligioesen Zweck verstanden wissen, der dann geschichtsphilosophisch, pragmatisch oder wie auch immer erst noch zu bestimmen waere. Das Problem bei der Rezeption des Konfessionalisierungsparadigmas in der Kirchengeschichtswissenschaft ist demnach, dass es sich 1) als griffige und bis vor einigen Jahren auch trendige Formulierung anbot, 2) das einhergehende Modernisierungskonzept einem theologischen und kirchengeschichtlichen Verstaendnis von Funktion und Bedeutung der Religion in fruehmodernen Gesellschaft aber nicht zu entsprechen scheint, es 3) aber auch in der Kirchengeschichtsschreibung keine allgemeinverbindliche Definition solcher Funktion und Bedeutung der Religion in fruehmodernen Gesellschaft gibt. II Eines der wenigen Beispiele fuer eine explizite Diskussion der Voraussetzungen und Implikationen des Konfessionalisierungsparadigmas in der Kirchengeschichte findet sich im Beitrag des damaligen Muenchener Kirchenhistorikers Thomas Kaufmann, der im Buch von Lotz-Heumann und Ehrenpreis auf S. 19f. als Diskussion um die Umbruchsthese dokumentiert wird. Das ist etwas jedoch etwas irrefuehrend, denn tatsaechlich formulierte Kaufmann seine Kritik am Konfessionalisierungsparadigma in einer Sammelrezension der Konfessionalisierungsbaende des VRG und der Monographie von H. R. Schmidt. Kaufmann hob als Verdienst der Konfessionalisierungsforschung hervor, die Bedeutung der "Formierung der konfessionellen Kirchentuemer" als eines Fundamentalprozesses der Fruehneuzeit endlich auch fuer die Allgemeinhistoriographie wiederentdeckt zu haben (S. 1112), und hoffte zugleich, dass das "Selbstverstaendnis der Kirchengeschichtswissenschaft, ihrer Methoden und Wissenschaftstraditionen" (S. 1121) grundsaetzlich diskutiert werden koennte. Dennoch ueberwiegen bei Kaufmann die Einwaende gegen die mit der Kirchengeschichte nun konkurrierende allgemeinhistorische Reformations- und Konfessionalisierungsforschung, insbesondere gegen die "impliziten Konsequenzen dieses allgemeinhistorischen Deutungsansatzes" (S. 1115). Naheliegend ist seine pragmatische Befuerchtung, die Kirchengeschichte koenne innerhalb eines solcherart umfassenden allgemeingeschichtlichen Deutungskonzeptes zu einer dogmengeschichtlichen Hilfswissenschaft verkuemmern (gegen Schilling) oder sogar voellig aussen vorbleiben (gegen Reinhard) (1116). Grundsaetzlicher und problematischer ist sein Einwand, das Konfessionalisierungsparadigma beabsichtige "die Bestreitung oder Relativierung [sc. der Reformation] durch die 'profanhistorische'Fruehneuzeitforschung"(1117). Die These, die Reformation werde erst in der Konfessionalisierungsphase ab ca. 1570/80 gesellschaftsgeschichtlich beitenwirksam, "laufe faktisch auf eine Ersetzung des Reformations- durch den Konfessionalisierungsbegriff hinaus" (ebd.): die Reformation werde nur noch als eine Art Initialzuendung verstanden. Der eigentliche Umbruch vom Mittelalter in die Moderne habe nicht in der Reformation sondern in der aus ihr entstandene Konfessionalisierung stattgefunden--und tatsaechlich besteht zumindest fuer Schilling darin ja auch der eigentliche Clou des Konfessionalisierungsparadigmas. Kaufmann will demgegenueber sowohl aus sachlichen wie aus historiographischen Gruenden an der Sicht Rankes festzuhalten, nach der die Reformation der entscheidende "Angel- und massgebliche Umbruchspunkt der neueren Geschichte" (S. 1117) gewesen sei. Zunaechst versucht er, den Umbruchscharakter der Reformation anhand von neun unterschiedlichen historischen Komplexen thetisch zu belegen (S. 1119; vgl. Lotz-Heumann/Ehrenpreis S. 19). Da demgemaess aus Sicht der Kirchengeschichte die eigentlichen religioesen Umbrueche bereits seit den 1520er Jahren ihre entscheidende gesellschaftliche Dynamik entwickelt haetten, koenne die Kirchengeschichte das Schillingsche Periodisierungsschema nicht uebernehmen--oder doch nur, wenn man "Kirche und Religion" nicht mehr wirklich als "zentralen Zusammenhang" der "historischen Wirklichkeit der Epoche" (S. 1120) verstehen wolle. Kaufmanns Kritik am Periodisierungskonzept des Konfessionalisierungsparadigmas laeuft letztlich darauf hinaus, dass Kirchengeschichte und Allgemeingeschichte unterschiedliche, nicht kompatible Begriffe von der Bedeutung und Funktion der Religion in der Fruehen Neuzeit zugrundelegen. Der Periodisierungsvorschlag Schillings und damit die Modernisierungsthese der Konfessionalisierungsforschung sei nur moeglich, wenn man die ihm zugrundeliegende radikal "funktionalistisch-reduktionistischen Betrachtung von Religion" (S. 1121) teile, was einem kirchengeschichtlichen Verstaendnis von der Funktion der Religion in der Fruehneuzeit keineswegs entspricht. Die Kirchengeschichte verstehe als ihre Aufgabe, "die inkulturativen Wirkungen der christlichen Religion in der Fuelle ihrer lebensweltlichen, gesellschaftlichen und politischen Bezuege zu analysieren, ohne die Religion ihrerseits zu einem ableitbaren Kulturderivat werden zu lassen" (ebd.).[3] Deshalb fordert Kaufmann eine "operationable Theorie der fruehneuzeitlichen Religion" (ebd.), die es bislang noch nicht gebe. Kaufmann selbst hat eine solche Theorie ansatzweise in seinem Buch zum "Dreissigjaehirgen Krieg" entwickelt und dort den Begriff der "Konfessionskultur"[4] gepraegt, der die verschiedenen "Inkulturationen" von Religion in der Gesellschaft beschreiben soll. Dem funktionalistischen Religionsbegriff des Konfessionalisierungsparadigmas sollte so die Vielfalt unterschiedlicher Funktionen von Religion in der Fruehneuzeitlichen Gesellschaft gegenuebergestellt werden--ein Entwurf, der sich, so weit ich sehe, in der Forschung nicht durchgesetzt hat. Zu unklar ist der Leitbegriff "Konfessionskultur", der die beiden Begriffe "Konfession" und "Kultur" zwar in einem Wort zusammenzwingt, aber nicht erklaert, wie sich die Fuelle religioes-kultureller Phaenomene in einer Gesellschaft zum Konzept einer theologisch als Einheit verstandenen Konfession verhaelt. Kann man umgekehrt angesichts der voellig unterschiedlichen Rezeptionsformen von Religion in einer Gesellschaft ueberhaupt noch von einer zugrundeliegenden und vereinheitlichenden Konfession sprechen? In dem u.a. von ihm herausgegebenen Band zu "Interkonfessionalitaet - Transkonfessionalitaet - binnenkonfessionelle Pluralitaet" (2003) hat Kaufmann seine Kritik am Konfessionalisierungsparadigma erneuert,[5] ihm aber nicht mehr den Begriff der "Konfessionskultur" sondern der "binnenkonfessionellen Pluralitaet" entgegengesetzt.[6] Dieser Begriff spiegelt das Ergebnis der Beitraege des Bandes, in denen sich die Autoren den Bereichen des Unkonfessionellen, UEberkonfessionellen und Transkonfessionellen zuwenden und deutlich wird, dass makrohistorisch von einer Konfessionalisierung desto weniger die Rede sein kann, je genauer man die gesellschaftlichen und kulturellen Kontexte in den Blick nimmt. Der Konfessionsbegriff des Konfessionalisierungsparadigmas selbst wird angesichts der pluralen religioesen Wirklichkeiten der fruehneuzeitlichen Gesellschaften unscharf.[7] III Aus kirchenhistorischer Sicht besteht das Grundproblem des Konfessionalisierungsparadigmas m.E. weniger darin, dass hier die Reformationsgeschichte durch eine weiter gefasste Konfessionalisierungsforschung abgeloest wuerde. Im Gegenteil scheint es mir ausserordentlich sinnvoll, von der in der Kirchengeschichte nachgerade klassisch zu nennenden Umbruchsthese mit ihrer Fixierung auf die Fruehe Reformation wegzukommen: die Studien zur Transkonfessionalitaet haben sehr deutlich gezeigt, dass Religion auch in der Fruehen Neuzeit zwar der gesellschaftlich zentrale, aber eben doch nicht einzige Diskurs war, die religioesen Veraenderungen also erst durch auf die Transformation weiterer Diskurse moeglich wurden.[8] Das eigentliche Problem des Konfessionalisierungsparadigmas besteht aus kirchenhsitorischer Sicht meines Erachtens darin, dass es in Bezug auf die Funktion, die es der Religion zuspricht, in einen Selbstwiderspruch zu geraten scheint. Nach Schilling beschreibt es den zentralen Transformationsprozess der alteuropaeischen Gesellschaft hin zur Moderne: die Fixierung von Religion in Konfessionen waere demnach ein konstitutives Merkmal dieser Moderne. Auf der anderen Seite liegt dem Paradigma aber ein (unausgesprochen positiv konnotierter) Begriff von der Moderne als saekularer "demokratischer Industriegesellschaft" zugrunde, in der Religion keine konstitutive Rolle zukommt. "Konfessionalisierung" kann fuer die Vertreter des Paradigmas demnach ein Zentralbegriff der Fruehen Neuzeit nur sein, wenn man sie sich losgeloest von allen religioesen Inhalten denkt, deren traditionsbedingte Beharrungskraft, Eigendymanik und Eigenlogik einem geradelinigen Prozess saekularisierender Modernisierung widersprechen.[9] Insofern scheint der funktionalistische Religionsbegriff nicht als ursaechliches Problem des Konfessionalisierungsparadigmas, sondern als notwendige Folge einer unklaren Vorstellung von der Bedeutung der Religion in und fuer die Moderne. Es geht meines Erachtens also nicht nur darum, eine operationable Theorie von der Religion in der Fruehen Neuzeit sondern vor allem auch darum, eine operationable Theorie von der Moderne zu gewinnen. So ist unklar, inwiefern es gerade eine Konfessionalisierung gewesen sein sollte, "die Europa in den Stand versetzte[...], das 'traditionale' und 'feudale' Gesellschaftssystem zu ueberwinden und in die moderne Buerger- und Wirtschaftsgesellschaft des 19. und 20. Jahrhundert aufzubrechen".[10] An diesem Punkt schliesslich wird das Verhaeltnis von Konfessionalisierungsparadigma und Aufklaerungsforschung problematisch: aber das ist vielleicht ein Thema des naechsten Diskussionsforums des H-German. Anmerkungen: [1] Irene Dingel, _Concordia Controversa. Die oeffentliche Diskussion um das lutherische Konkordienwerk am Ende des 16. Jahrhunderts_ (Guetersloh: Guetersloher Verlagshaus, 1996); Andreas Holzem, "Die Konfessionsgesellschaft. Christenleben zwischen staatlichem Bekenntniszwang und religioeser Heilshoffnung," _Zeitschrift fuer Kirchengeschichte_ 110 (1999), S. 53-85; Thomas Kaufmann, _Universitaet und lutherische Konfessionalisierung. Die Rostocker Theologieprofessoren und ihr Beitrag zur theologischen Bildung und kirchlichen Gestaltung im Herzogtum Mecklenburg zwischen 1550 und 1675_ (Guetersloh: Guetersloher Verlagshaus, 1997); Ernst Koch, _Das konfessionelle Zeitalter - Katholizismus, Luthertum, Calvinismus 1563-1675_ (Leipzig: Evangelische Verlagsanstalt, 2000); Volker Leppin, _Antichrist und Juengster Tag. Das Profil apokalyptischer Flugschriftenpublizistik im deutschen Luthertum 1548-1618_ (Guetersloh: Guetersloher Verlagshaus, 1999); Harry Oelke, _Die Konfessionsbildung des 16. Jahrhunderts im Spiegel illustrierter Flugblaetter_ (Berlin: De Gruyter, 1992); Jonathan Strom, _Orthodoxy and reform. The Clergy in Seventeenth- Century Rostock_ (Tuebingen: Mohr Siebeck, 1999); Marc Venard, ed., _Geschichte des Christentums_ Bd. 8: _Das Zeitalter der Konfessionen 1530-1620/30_; dt. Ausgabe von Heribert Smolinsky (Freiburg/Breisgau: Herder, 1992); Johannes Wallmann, _Kirchengeschichte Deutschlands seit der Reformation_ (Tuebingen: Mohr Siebeck, 2000), S. 88-103. [2] Ausnahmen sind Johannes Wallmann: Lutherische Konfessionalisierung, (= Lotz-Heumann/Ehrenpreis, Nr. 31, S. 33-53); Thomas Kaufmann (= Lotz-Heumann/Ehrenpreis, Nr. 242); Heinrich Wilhem Neuser (= Lotz-Heumann/Ehrenpreis, Nr. 32, S. 379-386). [3] Kaufmanns knappe Forderung, Religion duerfe in der Historiographie nicht zu einem "ableitbaren Kulturderivat" werden, hat insbesondere in der Formulierung, damit sei der "Wahrheitsanspruch der christlichen Religion in ihrer Geschichte zur Darstellung zu bringen" (S. 1121) in der weiteren Debatte zu einigen Missverstaendnissen Anlass gegeben. So hat etwa Walter Ziegler (=Lotzheumann/Ehrenpreis, Nr. 270, S. 45), in seiner Kritik am Konfessionalisierungsparadigma sich hier auf Kaufmann berufen und den Eindruck erweckt, es muesse hier gegenueber allen historisierenden Relativierungen an der ueberzeitlichen, geoffenbarten Wahrheit der Religion festgehalten werden. [4] Vgl. Lotzheumann/Ehrenpreis, Nr. 243. [5] Er greift dabei die Einwaende auf, die bereits Schilling selbst gemacht hatte (= Lotz-Heumann/Ehrenpreis: Nr. 262, S. 16-18), und bemaengelt die strukturelle Gleichsetzung der Konfessionen ungeachtet ihrer spezifischen religioesen und theologischen Traditionen, die dominierende Projektion von Religion auf ausserreligioese makrohistorische Deutungskategorien sowie die mangelnde Beruecksichtigung der unterschiedlichen sozialen Kontexte von Religion und drittens die fehlende Beruecksichtigung der binnenkonfessionellen Differnzierungen. [6] Kaspar von Greyerz et al., eds., _Interkonfessionalitaet - Transkonfessionalitaet - binnenkonfessionelle Pluralitaet. Neue Forschungen zur Konfessionalisierungsthese_ (Guetersloh: Guetersloher Verlagshaus, 2003), S. 9-15, ebd., S. 15. [7] Sei es durch den Blick mikrohistorischen Blick auf die konkreten individuellen Lebenswelten (in den Beitraegen von Anselm Schubert, "Kommunikation und Konkurrenz. Gelehrtenrepublik und Konfession im 17. J." und Martin Mulsow. "Mehrfachkonversion, politische Religion, Opportunismus im 17. Jahrhundert"), sei es durch die Erweiterung des Konfessionsbegriffes auf die Gruppe von Judentum (im Beitrag von Gerhard Lauer, "Die Konfessionalisierung des Judentums," der einen Begriff der Konfessionalisierung entwickelt, der auf der inneren Dynamik einer religioesen Gruppe beruht) und Taeufertum (vgl. dazu den Band von Michael Driedger, _Obedient Heretics. Mennonite Identities in Lutheran Hamburg and Altona during the Confessional Age_ (Aldershot: Ashgate, 2002). [8] Ziel muss sein, einen Religionsbegriff zu entwickeln, der eng genug ist, um konkret anwendbar zu sein und weit genug, um sowohl theologische und religioese Eigenlogik und -interessen als auch die Funktionalisierung von Religion fuer ausserreligioese Zwecke beschreiben zu koennen. Es waere zu ueberlegen, ob der vielgeschmaehte Begriff des "Diskurses" nicht gerade die Flexibilitaet und Offenheit bietet, die man zur Beschreibung eines so umfassenden und vielseitigen Systems wie der Religion in der Gesellschaft der Fruehen Neuzeit benoetigt. Einen klaren und pragmatischen Diskursbegriff, der sich sehr gut zur Beschreibung der Polyfunktionalitaet von Religion eignet (Vgl. Anselm Schubert, "Nachspiel auf dem Theater. Lutherische Orthodoxie und Synkretismus zwischen Theologie und Literatur," _Kerygma und Dogma_ 45 (1999), S. 225-250; ders., _Das Ende der Suende. Anthropologie und Erbsuende zwischen Reformation und Aufklaerung_ (Goettingen: Vandenhoeck & Ruprecht, 2000), hat der deutsche Romanist Michael Titzmann entwickelt (in "Kulturelles Wissen - Diskurs - Denksysten. Zu einigen Grundbegriffen der Literaturgeschichtsschreibung," _Zeitschrift fuer Franzoesische Sprache und Literatur_ XCIX/1 (1989) S.47-61). Titzmann versteht "Diskurse" als "Systeme des Denkens und Argumentierens", als metatextuelle Ordnungskriterien kulturellen Wissens. Nach Titzmann werden Diskurse a) durch einen gemeinsamen Redegegenstand, b) durch Regularitaeten der Rede ueber diesen Gegenstand und c) durch beliebig komplexe Relationen zu anderen Diskursen definiert. Was den gemeinsamen Gegenstand angeht, so ist dieser nach Titzmann "das Produkt einer kulturellen Kategorisierung der Realitaet" (ebd. S. 51), womit sich erklaert, warum zu bestimmten Zeiten bestimmte Gegenstaende Inhalt eines Diskurses sein koennen und andere nicht. Die Rede ueber diesen Gegenstand innerhalb eines Diskurses wird durch bestimmte epistemologische Regularitaeten etabliert, die Diskursregulatorien, durch die definiert wird, wer wann in welcher Form worueber sprechen darf, wenn er zum Diskurs gezaehlt werden will. Die Formationsregeln des Diskurses bestimmen also, ob eine bestimmte AEusserung einem Diskurs angehoert oder nicht. Sie definieren "die logischen und methodologischen Voraussetzungen der Aussagen, die zulaessigen Argumentationsstrukturen, die Bedingungen des Wahrheitsbeweises fuer Aussagen, usw." (ebd., S. 52). Das dritte Merkmal eines Diskurses sind seine beliebig komplexen Relationen zu anderen Diskursen. So koennen sich Diskurse gegenseitig begrenzen, dominieren oder ergaenzen, wie man es am Verhaeltnis von Religion und Politik sehen kann. Sodann kann man nach Titzmann unterscheiden zwischen "verschiedenen Diskurstypen" einerseits und "konkurrierenden Diskursen" andererseits. "Konkurrierende Diskurse" sind Diskurse, die zwar denselben Gegenstand haben, aber auf unterschiedlichen Basispostulaten beruhen, wie etwa Psychiatrie und Psychoanalyse. Diskurse, die dieselben Basispostulate (wie Empirie usw.) teilen, aber unterschiedliche Gegenstaende behandeln, gehoeren dagegen demselben "Diskurstyp" an (wie die modernen Naturwissenschaften). [9] Das wird wichtig etwa bei den vor allem von Reinhard stets im Munde gefuehrten "unintendierten Folgen" der Konfessionalisierung. [10] Schilling, (= Lotzheumann/Ehrenpreis, Nr. 32), S. 4.
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