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Briefe um 1800 – Zur Medialität von Generation Die in den letzten Jahren in verschiedenen Disziplinen mit großem Forschungsinteresse bedachten Fragestellungen zu Konzepten von Generationalität wurden bisher noch nie im Hinblick auf die Textsorte Brief und Phänomene von Briefkommunikation untersucht. Dabei öffnet die Dialogizität als konstitutives Merkmal von Briefen in besonderer Weise den Blick für generationelle Positionierungen: Ob es um intergenerationelle Kontinuitäten oder um generationelle Abgrenzungen geht, die Verortungsprozesse verlaufen dialogisch. Der vielbeschworene Mischcharakter von Briefen an der Schnittstelle zwischen Privatheit und Öffentlichkeit, zwischen historischer Quelle und Artefakt, zwischen Adressierung und Selbstbezüglichkeit, zwischen manifester Materialität und vom Schreiber gelöster Botschaft ermöglicht es, Fragen nach Gruppenbildungs- und -legitimierungsprozessen (Winter), nach dem Aushandeln von „Gestaltungsprinzipien“ innerhalb von „Generationseinheiten“, der Ausbildung eines generationellen Stils (Mannheim), nach „Generationsobjekten“ (Bollas), intergenerationellen Hierarchieverhältnissen (z.B. in der Wissensvermittlung) und vielem mehr neu zu stellen. Obwohl „Generation“ für die Zeit um 1800 ein anachronistischer Begriff ist, ist die Konzeptualisierung von Generation in den 1920er Jahren hauptsächlich am Beispiel der romantischen Schriftsteller und Philosophen entwickelt worden (Petersen, Mannheim, vorher Dilthey), indem die Gruppenbildung der Romantiker in besonderem Maße über Altersprägung, Aufwertung von „Erfahrung“ und besondere Aufmerksamkeit (in Abgrenzung sowie Traditionsübernahmen) auf „die Alten“/“die Jungen“ beschrieben wurde. Neben diesem interessanten Rezeptionsaspekt, der die oft bemerkte besondere Bedeutung der Briefkultur für die verschiedenen Romantikerkreise in einer neuen Perspektive untersuchbar macht, laden die Briefwechsel der Künstler und Gelehrten zu diesem späten Höhepunkt des „Jahrhunderts des Briefes“ in besonderer Weise dazu ein, sie mit Konzepten aus der Generationenforschung in den Blick zu nehmen: Die Schulenbildungen in Künstlerkreisen (z.B. Schinkel- oder Rauchschüler) generieren Lehrer-, Schüler- und Mitschülerverhältnisse in rascher Folge, manche Enkelgeneration ist nur fünf Jahre von ihren künstlerischen Großvätern entfernt. In der Epigonenkultur (beispielsweise der Goethevereine) der „bleiernen Zeit“, in der die verzögerte politische Generationsablösung im preußischen Königshaus das Auftreten junger Künstlergruppen erschwert, werden Meister- und Jüngerrollen zelebriert. Für die sich formierenden modernen Wissenschaften kann man den Wandel hin zu Institutionalisierung und Professionalisierung, zu Wissenschaftsorganisation und Versachlichung an den Gelehrtenkorrespondenzen der Institutsdirektoren und Doktorväter und ihrem wissenschaftlichen Nachwuchs ablesen. Besonders reizvoll ist auch der Blick auf die Hybridisierungen von Briefen: in veröffentlichten Briefwechseln, die von Freunden verstorbener Schriftsteller als Lebensbeschreibungen und Memoria einer Gruppe bearbeitet und publiziert werden (der Verleger Hitzig schreibt z.B. mit den Briefausgaben seiner Freunde die Erinnerung an den Nordsternbund fest), als Textsorte in Zeitschriften und natürlich in Briefromanen. Pomonas didaktische Briefe an die papierenen Töchter von Sophie la Roche lassen sich ebenso auf generationelle Inszenierungen untersuchen wie die Briefromane ihrer Enkelin Bettina von Arnim, die in ihrem Briefroman Die Günderode die Großmutter in interpolierten Passagen selbst zu Wort kommen lässt, während sie mit der gleichaltrigen Freundin Caroline von Günderode ein Lehrer-Schüler-Verhältnis ins Bild setzt, und in Goethes Briefwechsel mit einem Kinde in besonderer Weise familiale Ordnungsmuster aufruft und instrumentalisiert. Gerade bei schreibenden Frauen, die durch die zeitgenössischen Geschlechterkonzepte aus der allgemeinen Verzeitlichung ausgenommen sind, indem sie auf ein ewig weibliches Prinzip festgelegt werden, stellt sich die Frage, ob und wie sie generationelle Erklärungsmuster im traditionell weiblich konnotierten Medium Brief aufnehmen oder unterlaufen, da doch das Konzept Generation von Anfang an mit Männlichkeit und Jugend verbunden ist (Weigel). Zur gemeinsamen Erschließung des Themas wünschen wir uns Beiträge, die sich in der folgenden Auffächerung verorten lassen. I. Generationengeschichte(n) in der epistolaren Kommunikation - Brief als Hinterlassenschaft/Erbe (generationelle Vergangenheitsbewältigung, Vergangenheitsbezug, intertemporale Medialität): Fragen zur Rezeption, zu Briefüberlieferung, Sammlungen und Archiven, Fragen zu Textschichten und verschiedenen Händen in Briefmanuskripten - Transgenerationelle Kontinuitäten und generationelle Abgrenzung in Briefen (Dialogizität und Intertextualität): Fragen zu Schulenbildungen, zur Instrumentalisierung familialer Ordnungsmuster, zu genealogischen Konstruktionen durch Briefkommunikation und in Brieftexten - Briefe als generationelle Artefakte/Dinge (Generationalität der Dinge, „Generationsobjekte“): Fragen zur Form der Briefkultur als bedeutendem Element eines generationellen Stils, andererseits Fragen zu den Briefen selber als Generationsobjekten in ihrer Materialität, außerdem zu Generationsobjekten als Gegenstand des Brieftextes II. Generationelle Gruppenbildungsprozesse und das Medium Brief - Generationelle Selbstdarstellung, Selbstbezüglichkeit und Positionierungen, Generationsstrukturen/Generationsdiskurse, Semantiken von Zusammengehörigkeit und Abgrenzung: Fragen zur Bildung von Generationsgemeinschaften als soziale Einheiten und zu Generationalität in textueller und literarischer Inszenierung in Briefen - Briefe als Ort der Aushandlung eines gemeinsamen Stils vor dem öffentlichen Auftreten als generationelle Akteure: Fragen nach der Dynamik und Strategiebildung von Gelehrten- und Künstlergruppen - Rezeptionsgeschichte(n): Fragen nach generationellen Zuschreibungen im Nachhinein Wir hoffen sowohl auf literaturwissenschaftliche wie wissenschafts-, ideen- und mediengeschichtliche Beiträge. Vorschläge bitte in folgendem Format: 500 Zeichen zuzüglich kurzer biographischen Angaben bis zum 28.02.2013 an selma.jahnke@hu-berlin.de. Die Tagung findet vom 28. bis zum 30. 11.2013 im Auditorium des Grimm-Zentrums (Humboldt-Universität zu Berlin) statt. Die Tagung wird von der Nachwuchsforschungsgruppe Berliner Intellektuelle 1800-1830 veranstaltet, die am Institut für Deutsche Literatur der Humboldt-Universität zu Berlin angesiedelt ist. Wir freuen uns besonders, Ulrike Vedder mit dem Abendvortrag und Christiane Holm (Brief und Materialität), Ralph Winter (Konzeptualisierung von Generationalität) und Ralf Klausnitzer (Wissenstransfer) als keynote speaker ankündigen zu dürfen. Reisekosten werden vorrangig für europäische Nachwuchswissenschaftler erstattet. _________________________________________________________________________ H-GERMANISTIK Netzwerk für literaturwissenschaftlichen Wissenstransfer Humanities-Network for German Literature and Philology mail: redaktion@h-germanistik.de www: http://www.h-germanistik.de Beiträge / contributions: http://www.germanistik-im-netz.de/h-germanistik _________________________________________________________________________
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