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Richelieu (1585-1642) – Kunst, Macht und Politik Eine Ausstellung im Wallraf-Richartz-Museum – Fondation Corboud, Koeln vom 1.Februar bis 21.April 2003 http://www.museenkoeln.de Hilliard Todd Goldfarb (Hg.), Richelieu (1585-1642). Kunst, Macht und Politik, Gent/Belgien 2002, 421 Seiten. ISBN 90-5349-412-x (deutsche Softcover-Ausgabe) bzw. ISBN 90-5349-409-x (deutsche Hardcover-Ausgabe). Daneben erhaeltlich eine englische und franzoesische Hardcover-Ausgabe. Rezensiert fuer H-ArtHist von Georg Machauer, Kunsthistorisches Institut, Ruprecht-Karls-Universitaet Heidelberg (gmachaue@ix.urz.uni-heidelberg.de) Er zaehlt zu den praegenden Gestalten der europaeischen Geschichte, die ihrem Zeitalter ihren Stempel aufdrueckten, und schuf nach Einschaetzung der Historiker die Grundlagen des modernen franzoesischen Staates, doch erst ein „Unterhaltungsroman“, Alexandre Dumas´ Die drei Musketiere, und in der Folge dessen ungezaehlte Verfilmungen verhalfen ihm zu einer spaeten, anhaltenden Popularitaet: die Rede ist von Armand-Jean Du Plessis, besser bekannt als „Kardinal Richelieu“ (1585-1642). Allein sein Name floesst Ehrfurcht ein, und das Bild des skrupellosen, intriganten, machtbesessenen Politikers, das sich in unseren Koepfen festgesetzt hat, verstellt den Blick auf weniger bekannte Facetten seiner Person und seiner Staatstaetigkeit. Eine im Wallraf-Richartz-Museum in Koeln stattfindende Ausstellung unter dem leider etwas faden Titel „Richelieu – Kunst, Macht und Politik“ unternimmt es zu zeigen, dass der Erste Minister Ludwigs XIII. von Frankreich auch enorme Anstrengungen unternommen hat, um sein Land zur fuehrenden Kulturnation zu machen, und er sich in gezielter und umfassender Weise gerade auch der bildenden Kuenste bediente, um seine politischen Ziele, die Staerkung der Monarchie und die Vormachtstellung Frankreichs in Europa, zu erreichen. Mit dieser massgeblich vom Montreal Museum of Fine Arts konzipierten Schau, deren einzige europaeische Station Koeln ist, wird erstmals in Deutschland das Verhaeltnis zwischen Politik und Kunst in einer Epoche der franzoesischen Geschichte beleuchtet, die zumeist vom Grand siècle des Sonnenkoenigs ueberstrahlt wird, aber in vielerlei Hinsicht die Fundamente fuer die glaenzende Entfaltung der franzoesischen Kunst unter Ludwig XIV. gelegt hat. Richelieu in Montreal? Von der zufaelligen Koinzidenz abgesehen, dass die frankokanadische Metropole im Todesjahr des Kardinals (1642) gegruendet wurde – Richelieu hat sich in seiner Eigenschaft als „Marineminister“ nachdruecklich fuer die Besiedlung der franzoesischen Kolonien in Nordamerika und fuer eine Belebung des UEberseehandels eingesetzt -, geht die Idee zu der Ausstellung auf das persoenliche Interesse von Hilliard T.Goldfarb, dem Stellv. Chefkurator des Montreal Museum of Fine Arts, zurueck, der die Mitarbeit namhafter Fachleute aus Kanada, Frankreich und England gewinnen konnte. Das Koelner Wallraf-Richartz-Museum, das in der Vergangenheit bereits mit thematisch orientierten, dem allgemeinen Trend zu kuenstlermonographischen UEbersichten entgegenlaufenden Ausstellungen unter der AEgide von Ekkehard Mai hervorgetreten ist [1], schloss sich diesem Projekt an – wenngleich bedauerlicherweise nicht alle im Katalog aufgefuehrten Exponate nach Koeln uebernommen worden sind - und steuerte auch zwei Katalogessays bei. Bereits 1985, zum 400. Geburtstag Kardinal Richelieus, veranstaltete die Pariser Sorbonne, zu deren massgeblichen Foerderern und Mentoren der promovierte Theologe gehoerte, eine Richelieu et le monde de l´esprit betitelte Ausstellung, die bei vergleichbarer Intention allen Facetten des kultur- und kunstpolitisches Wirkens des Herzogs erschoepfend Rechnung trug, ihren Gegenstand jedoch noch nicht unter einer zugespitzten Fragestellung untersuchte. [2] Das als Signet der Ausstellung gewaehlte und auf Plakat und Katalogcover begegnende Tripelportraet Philippe de Champaignes, das – wie eine Notiz auf der Rueckseite des Rahmens angibt – eigentlich als Vorlage fuer eine dreidimensionale Skulptur fungierte, koennte nicht treffender die „Vielgesichtigkeit“ und Unergruendlichkeit der „Sphinx in roter Robe“, als die der bedeutende franzoesische Historiker Jules Michelet im 19. Jh. den Kardinal und Ersten Minister apostrophiert hat, illustrieren. In der Tat vereinigte Armand-Jean Du Plessis in sich Rollen, Aemter, Ueberzeugungen, ja selbst politische Ziele, die uns heute als widerspruechlich und unvereinbar erscheinen: aus einer hochverschuldeten Familie des niederen Adels stammend, strebte er eine geistliche Karriere an, studierte an der Sorbonne Theologie und erhielt bereits mit 22 Jahren in Rom die Bischofsweihe. Maria dei Medici, Witwe Heinrichs IV. und nach dessen Ermordung 1610 fuer den noch unmuendigen Thronfolger Regentin Frankreichs, wurde auf seine Talente aufmerksam und nahm ihn in ihre Dienste. Von brennendem Ehrgeiz beseelt, seinem Koenig zu dienen und Frankreich nach den blutigen Religionskriegen des 16. Jhs., die das Land und den Adel gespalten und geschwaecht hatten, zu neuer Groesse emporzufuehren, stieg er 1624 zum Ersten Minister Ludwigs XIII. auf, bewaehrte sich als Militaerstratege, der hoechstselbst Belagerungen leitete, auf dem Schlachtfeld (Eroberung der letzten Hugenotten-Hochburg La Rochelle 1627/28) – man denkt an den kriegerischen Papst Julius II. – und uebte nach 1630/31 de facto eine auf seine Person zugeschnittene, von seinen „Geschoepfen“ unterstuetzte, beinahe unumschraenkte Regierungsgewalt aus. Gleichzeitig betaetigte er sich als Verfasser theologischer Traktate und verhalf als unerbittlicher Verfechter der Gegenreformation den durch das Tridentinische Konzil angestossenen innerkirchlichen Reformen zur Durchsetzung. Aussenpolitisch verschaffte er mit diplomatischen und militaerischen Mitteln Frankreich europaeische Geltung, innenpolitisch schuf er einen straff organisierten, zentralistischen Staat mit dem Koenig an der Spitze. Dass im Wettstreit der rivalisierenden Staaten, Fuerstenhoefe und Hauptstaedte (Rom, Madrid, Wien, London) im Europa des Dreissigjaehrigen Krieges der kuenstlerischen Selbstdarstellung und dem Maezenatentum eine unverzichtbare, ja mitentscheidende Rolle zukam, dass bildkuenstlerische Medien zur Disziplinierung und ideologischen Ausrichtung des einheimischen Adels und zur Propagierung gegenreformatorischer Anliegen eingesetzt werden konnten, begriff der nuechtern und pragmatisch denkende, mit einem wachen Realitaetssinn ausgestattete Kirchen- und Staatsmann Richelieu sehr rasch. Dementsprechend reflektiert die Koelner Ausstellung – zugespitzt formuliert – weniger das (affektiv gefaerbte) Verhaeltnis des Kardinals zur Kunst als vielmehr den Gebrauch, den er von Kunstwerken macht, und untersucht, „warum diese Werke in Auftrag gegeben, wie sie rezipiert worden waren und ob gewisse Zusammenhaenge zwischen Ikonographie und Stil bestanden“.[3] Zwar erachtete Richelieu, der alles der Staatraeson unterordnete, in seinem Politischen Testament die Kunst nicht einmal der Erwaehnung fuer wuerdig, zwar sieht man in ihm nicht den passionierten Kunstliebhaber, spricht ihm eine wirkliche Kunstkennerschaft, wie sie sein Nachfolger Mazarin aufwies, ab – dennoch wachte er sorgfaeltig ueber die Ausfuehrung der von ihm in Auftrag gegebenen Bauten, Gemaelde, etc. und nahm selbst auf kleinste Details Einfluss, was im uebrigen aber auch fuer saemtliche Bereiche seiner Staatsfuehrung und seines Privatlebens gilt und daher seinem rigiden Charakter entsprochen zu haben scheint. Ob er jedoch wirklich einen persoenlichen Kunstgeschmack im Sinne einer bewussten Stilpraeferenz besessen hat oder ob seine augenscheinliche Bevorzugung einer klassisch-strengen, kuehlen Stilhaltung à la Poussin nicht vielmehr im Kontext der zeitgenoessischen klassizistischen Stroemung der franzoesischen Kunst zu sehen ist, bleibt fraglich. Erst recht duerfte es schwerfallen, ihm bzw. seinem ihn kuenstlerisch beratenden Umfeld den kalkulierten Einsatz eines Erhabenheit und Wuerde vermittelnden kuenstlerischen Stils nachzuweisen, wie es beispielsweise fuer den ersten roemischen Kaiser Augustus angenommen werden kann.[4] Ungeklaert bleibt desweiteren auch die spannende Frage, ob Richelieu, dem insbesondere die Literatur und das Theater am Herzen lagen, der seinem Willen zur Foerderung und Anhebung der franzoesischen Sprache durch die Gruendung der Académie française (1635) sichtbaren Ausdruck verlieh [5], der dem Medium des Wortes zur Verbreitung von Informationen durch die Schaffung eines offiziellen Publikationsorgans (1631), der Gazette de France, sowie die Einrichtung einer koeniglichen Druckerei (1639), der Imprimerie royale, hohes Gewicht beimass, den literarischen oder den visuellen Kuensten, dem Wort oder dem Bild die Prioritaet zuerkannte. Dass Kunstwerke in den Dienst der persoenlichen wie staatlichen Selbstinszenierung, der kulturellen und politischen Identitaetsstiftung, der Propaganda gestellt werden, ist weder ueberraschend noch auf das absolutistische Zeitalter eingegrenzt. Neu an Richelieus Vorgehen ist allenfalls die Systematik, mit der er die Kunst seinen Intentionen dienstbar macht, ihr ihren Platz in seiner Vision des Staatsgebaeudes zuweist, sie staatlicher Kontrolle zu unterwerfen sucht. Auch wenn eines seiner wichtigsten Projekte, die Gruendung der Académie royale de Peinture et de Sculpture, erst 1648, sechs Jahre nach seinem Tod realisiert werden konnte, so gingen doch von ihm die Impulse aus, durch eine Reglementierung und Rationalisierung der Kunst bzw. ihrer Lehrbarkeit an den entsprechenden Institutionen ihr Niveau auf breiter Basis anzuheben: der Gedanke der Akademie in ihrer franzoesischen Auspraegung, wie er jahrhundertelang die Vorstellung von einer professionellen Kuenstlerausbildung bestimmen sollte, nimmt bei einem „Kunstasketen“ ihren Ausgang, der jeder Form von Zuegellosigkeit auf kulturellem und kuenstlerischem Gebiet misstraute.[6] Bei Richelieu, der gewiss nicht ohne Vorbilder [7] oder Vorlaeufer im eigenen Land eine der ersten Propagandamaschinerien der Neuzeit schuf, kann man eigentlich erst mit Fug und Recht von einer Kunst- und Kulturpolitik sprechen, die unter seinem Sohn und Nachfolger Ludwig XIV. systematisch ausgebaut und meisterhaft weiterentwickelt wurde. Die Ausstellung im Untergeschoss des Wallraf-Richartz-Museums faechert in sechs Abteilungen die unterschiedlichen Wirkungskreise des Kardinals, das historische Umfeld, die Lebensumstaende des einfachen, vom Dreissigjaehrigen Krieg heimgesuchten Volkes, die Stadtentwicklung von Paris sowie das Nachleben seiner zum Mythos verklaerten Gestalt im 19. und beginnenden 20.Jh. auf, wobei die Aufspaltung in staatliche, kirchliche, intellektuelle und maezenatische Sphaere zwar aus ausstellungsdidaktischen Gruenden sinnvoll ist, aber den in der Person des Kardinal-Ministers verkoerperten untrennbaren Lebenszusammenhang zerreisst, der sich immer als ein zugleich im Namen der Kirche und des Staates, im Namen Gottes wie seines Koenigs Handelnder verstand. Quer zu diesen Hauptabteilungen liegen Subthemen, Teilaspekte verborgen, wie z.B. „Richelieu und Poussin“ oder „Richelieu und Philippe de Champaigne“, die zu entdecken und denen nachzugehen sich ebenfalls lohnen wuerde. „Frankreichs Ruhm und Groesse“, wie die erste Abteilung ueberschrieben ist, zu mehren und zu verherrlichen, stand im Zentrum aller kuenstlerischen Unternehmungen des Ersten Ministers und Dieners Ludwigs XIII. Dass Richelieu innerhalb dieses Rahmens eine eigene glaenzende Selbstdarstellung seiner Person und seiner Familie betrieb, bedeutet keinen Widerspruch – die Staatsraeson erforderte es regelrecht, selbst „Staat zu machen“. In diesem Sinne konnte auch das Wappen des Kardinals im Giebeldreieck seines Schlosses Richelieu (bei Chinon im Poitou) selbstbewusst prangen, solange es nur auf den Koenig, verkoerpert in seiner Marmorstatue in der zentralen Nische der Fassade, bezogen und ausgerichtet blieb. Paradigmatisch brachte die heute zerstoerte beruehmte Galerie des hommes illustres im Stadtpalast Richelieus, dem Palais Cardinal (heute Palais Royal), das in unmittelbarer Nachbarschaft zum Koenigsschloss, dem Louvre, lag, seine Auffassung von der monarchischen Staatsordnung zum Ausdruck und fuehrte die seiner Meinung nach vortrefflichsten Maenner Frankreichs (und einer Frau, naemlich Jeanne d´Arc), angefangen von Abt Suger von St. Denis im 12. Jh. bis hin zu ihm selbst, in Ganzfigurenportraets vor Augen, die sich vor allem durch militaerische Tapferkeit, Loyalitaet gegenueber Frankreich und Koenigstreue ausgezeichnet hatten und darin dem zeitgenoessischen Schwertadel als leuchtende Vorbilder den Weg weisen sollten. Von dem einstmals 25 Portraets umfassenden Zyklus, ausgefuehrt von Philippe de Champaigne und Simon Vouet, haben nur ganze sieben die Zeiten ueberdauert, von denen fuenf mitsamt der erhaltenen, z.T. erst kuerzlich entdeckten, narrativen Begleittaefelchen von Justus van Egmont in Koeln gezeigt werden koennen. Von dem bedeutendsten koeniglichen Kunstunternehmen der Regierungszeit Ludwigs XIII., der Ausstattung der ueber 400 m langen Grande Galerie des Louvre, fuer die eigens Nicolas Poussin aus Rom an die Seine geholt wurde, zeugen heute nur noch Bruchstuecke – Vorzeichnungen, Skizzen des sich nur widerwillig der undankbaren, ihm nicht angemessenen Aufgabe fuegenden Kuenstlers sowie Reflexe in dokumentierenden Nachstichen. Dieses kaum ueber die Anfaenge hinausgekommene, letztlich gescheiterte Projekt gewinnt als Dokument des Missverstaendnisses zwischen Poussin und Richelieu, der fehlenden Sensibilitaet des letzteren das Interesse des Kunsthistorikers. Der zweite Ausstellungssaal versammelt unter dem Programm „Fuer die Ehre Gottes“ grossformatige Gemaelde religioesen Inhaltes, die von Richelieu, François de Sublet de Noyers, seinem „Kunstministers“, und anderen fuer Kirchen bzw. Stadtpalaeste in Auftrag gegeben wurden. Daneben begegnet der Ausstellungsbesucher Richelieu als Stifter der Kirche der Sorbonne, die – nach dem Vorbild der Peterskirche in Rom – von der ersten monumentalen, steinernen Kuppel in Paris gekroent wird. Ausgaben seiner theologischen Schriften, von bedeutenden Kuenstlern mit Frontispizen versehen und in der koeniglichen Druckerei verlegt, weisen ihn als geistlichen Lehrer und Seelenhirten aus, der die ins Wanken gekommene Katholizitaet ueber seine organisatorischen Massnahmen hinaus in den Herzen der Glaeubigen zu verankern trachtet. Teil 3, „Richelieu und die Welt des Geistes“, eine Anspielung auf die Pariser Ausstellung von 1985, widmet sich seiner Patronage fuer Literatur und Theater. Eine ganze Serie qualitaetvoller Kupferstiche, die als Titelblaetter dem Kardinal gewidmete Dissertationen schmueckten, gibt Gelegenheit, den beginnenden Personenkult um den fuer alle Segnungen des Gluecks verantwortlich gemachten Minister zu studieren: unverkennbar sticht das markante, schon formelhaft reduzierte Konterfei Richelieus heraus, allegorisch ueberhoeht, in schier unerschoepflichem Erfindungsreichtum werden die Erfolge seines segensreichen Regiments ausgebreitet. In diesen Huldigungsblaettern drueckt sich eine uns heute befremdende Devotion und Unterwuerfigkeit aus, die dem Kardinal-Herzog eine nahezu koenigsgleiche Stellung zuspricht. „Eminenz und Unternehmer: Richelieus Maezenatentum“ ist leicht irrefuehrend der folgende, vierte Themenkomplex der Ausstellung ueberschrieben, der gleichsam ihr Herzstueck bildet, nicht nur, weil hier die Glanzstuecke des Rundgangs praesentiert werden, sondern weil der Kardinal als Auftraggeber in eigener Sache auftritt und anhand seiner Schloesser und Palaeste bzw. deren Ausstattung einen unmittelbareren Einblick in seine kuenstlerischen Vorstellungen und Bestrebungen gewaehrt. Seine wichtigsten Bauprojekte und Besitzungen, die Schloesser und Gaerten in Rueil und Richelieu – letzteres begleitet von einer Idealstadt, die ebenso den Namen des Kardinals trug - , das Palais Cardinal in Paris, werden zwar durch – weitgehend unkommentiert dargebotene - Stiche und Zeichnungen vergegenwaertigt, finden aber nicht die Aufmerksamkeit, die der Architektur, da sie im Gegensatz zu den nur einem ausgewaehlten Kreis zugaenglichen Gemaelden und Kunstsammlungen eine erheblich groessere Aussenwirkung entfaltet, eigentlich zustuende. Der architekturhistorisch Interessierte sucht vergeblich nach einer architekturikonologischen Analyse oder typologischen Einordnung der Bauten und Gartenanlagen und muss sich an den Katalog halten, um sich zu unterrichten.[8] Eine von Bernini 1640/41 in Rom gefertigte Marmorbueste Richelieus verdeutlicht exemplarisch, welches enorme Prestige mit dem Besitz von Meisterwerken der groessten lebenden Kuenstler verbunden war und mit welcher Bewusstheit und Berechnung Kunstwerke als subtile Mittel der Diplomatie eingesetzt wurden. Besonders der paepstliche Hof mit seinen Kardinalnepoten, in dessen Umkreis sich eine hochentwickelte, verfeinerte Kunstkennerschaft herausgebildet hatte, verstand es, dieses Instrument virtuos und voller Raffinesse zu handhaben: auf kuenstlerischem Gebiet eine Grossmacht, aber politisch und militaerisch in Europa von geringem Gewicht, blieb Rom nichts anderes uebrig, als mit seinen kuenstlerischen Pfunden zu wuchern und aus seiner grossen Vergangenheit politisches Kapital zu schlagen. Einen Einblick in die Gedankenwelt des gelehrten Zirkels um Kardinal Francesco Barberini und seines Sekretaers Cassiano dal Pozzo gibt das beim jungen Poussin bestellte Gemaelde Die Zerstoerung des Tempels von Jerusalem: in der Gestalt des roemischen Feldherrn und spaeteren Kaisers Titus [9], der – allerdings vergeblich – der Zerstoerung und Pluenderung des juedischen Tempels Einhalt zu gebieten sucht, laesst Barberini seine Vermittlungsbemuehungen zwischen den katholischen Maechten Frankreich und Spanien von Poussin auf die Leinwand bannen. Gestalten sich jedoch die Anspielungen zwischen dem historischen Ereignis und der zeitgenoessischen Situation schon beim Auftraggeber als ziemlich verschluesselt, laesst sich die von Hilliard T. Goldfarb vorgeschlagene, auf Richelieu uebertragene Lesart, dem das Gemaelde 1634 als diplomatisches Geschenk uebergeben wurde, nur schwer nachvollziehen, zumal es ja urspruenglich gar nicht fuer diesen geschaffen worden war. Der Erste Minister zeigte sich von Poussins Kunst so beeindruckt, dass er in den folgenden Jahren weitere Gemaelde bei ihm in Auftrag gab. So vervollstaendigten drei mythologische Tafeln von der Hand des Frankoroemers, ein Triumph des Bacchus, des Pan und des Silen, das mit ueberaus exquisiten Bildern bestueckte Kabinett des Koenigs im Schloss Richelieu, in dem sich als ranghoechstem Raum des Ausstattungsprogrammes gleichsam das Maezenatentum und Kunstinteresse des Ministers verdichtete [10] und die glorifizierende Selbstdarstellung des Koenigreiches unter der Regentschaft Ludwigs XIII. und Kardinal Richelieus ihrem Hoehepunkt zustrebte. Auch wenn Richelieu offenbar kein ausgepraegtes connaisseurhaftes Kunstverstaendnis besass, scheint er dennoch zumindest in architekturtheoretischen Fragen bewandert gewesen zu sein. Darauf deutet ein Schriftstueck hin, das Hilliard T. Goldfarb lediglich als Beleg fuer das persoenliches Engagement des Kardinal-Ministers bei der Ausfuehrung seiner Bauten wie auch fuer einen individuellen Geschmack deutet.[11] Die Anweisung des in Rede stehenden Vertrages, die eine Verzierung des Wachsaals im Palais Cardinal mit dorischen Architekturelementen festlegt, entspricht jedoch einfach den in Architekturtraktaten niedergelegten Regeln zum korrekten Gebrauch der antiken Saeulenordnungen.[12] Dass die Ausstellung die anderen Bereiche von Richelieus Sammelleidenschaft, kunsthandwerkliche Preziosen, Silberarbeiten, Schalen und Glaeser aus geschliffenem Bergkristall etc. mit Schweigen uebergeht, erscheint noch zu verschmerzen; unverzeihlich und unerklaerlich dagegen ist das vollstaendige Fehlen von antiken Objekten seiner Sammlung. Und zwar nicht allein, weil sie als integrale Bestandteile seiner Sammlungspraesentationen auch inhaltliche Ergaenzungen darstellten und Antiken zum unverzichtbaren Grundbestand einer hochkaraetigen Sammlung gehoerten. Schwerwiegend ist dieses Manko vor allem auch deshalb, weil die antike Kunst gerade auch in Frankreich als unumstoessliches Ideal, das er zu erstreben, bestenfalls sogar zu uebertrumpfen galt, angesehen wurde, als richtungsweisender Massstab, mit dem sich die barocken Kuenstler kontrovers und schoepferisch auseinanderzusetzen hatten. Das Bronzerelief der sogenannten Borghesischen Opferbringer, das sein antikes Vorbild durch eine noch groessere Anmut und Vollkommenheit zu uebertreffen sucht, fuehrt hinein in die Querelle des Anciens et des Modernes, die in den nationalistisch gefaerbten Kunstdebatten des 17. Jhs. in Frankreich eine herausragende Rolle spielen sollte. Doch mangels antiker Originale lassen sich weitere Vergleiche leider nicht anstellen. Die naechste Abteilung, „Alltagsleben“, faellt etwas aus dem Konzept der Ausstellung heraus und steht relativ unverbunden neben den maezenatisch bestimmten Kunstwerken. Dass sogenannte Genre-Bilder nicht einfach einen ungefilterten, unverstellten Blick auf die Wirklichkeit wiedergeben, sondern ebenso bestimmten Aussage- und Darstellungsabsichten entspringen, sollte der Betrachter bedenken, der aus ihnen die vermeintliche „Realitaet“ der unteren Schichten herauslesen moechte. Den „Mythos Richelieu“ setzt die abschliessende Abteilung in Szene: mal amuesant, mal heroisch, mal staatsmaennisch gestaltet sich das Bild, das sich spaetere Zeiten von dem beruehmten Kardinal gemacht haben. Der Rundgang setzt sich in der Eingangshalle des Museums fort, in der zum Ausklang (bzw. Auftakt) Richelieus Erfolgsstory in Alexandre Dumas´ Roman Les Trois Mousquetaires weitergeschrieben wird und Filmplakate seine zahlreichen Wiederauferstehungen dokumentieren, die er bis in unsere Tage als Leinwandheld erlebt. Abgesehen von den erwaehnten Schwaechen und Auslassungen ist es der Ausstellung – nicht zuletzt auch anhand von hochrangigen, in Deutschland selten zu sehenden Exponaten – gelungen, das vielfaeltige Wirken des Kardinal-Ministers auf kunst- und kulturpolitischem Gebiet aus seinen politischen Zielsetzungen und staatskirchlichen Visionen heraus zu interpretieren und in den uebergreifenden Rahmen seines von der Staatsraeson diktierten Handelns einzufuegen. Wie sehr Richelieus Zeitalter dabei dem nachfolgenden, in dessen Schatten Kuenstler wie Vouet, de Champaigne, Lemercier, Callot, de La Tour immer gestanden haben, vorgearbeitet und gerade auch in geistiger Hinsicht die Bluete der franzoesischen Kunst unter Ludwig XIV. erst ermoeglicht hat, haetten die Ausstellungsmacher durch die Weiterfuehrung einiger Entwicklungslinien in die zweite Jahrhunderthaelfte hinein hervorheben koennen. Der sehr empfehlenswerte, durchweg mit praechtigen Farbabbildungen aller Exponate ausgestattete Ausstellungskatalog kostet an der Museumskasse 34.- Euro. Abgerundet wird die Ausstellung durch eine kleine, aber prominent besetzte Vortragsreihe, eine Romanlesung, ein Konzert sowie eine Filmvorfuehrung. Anmerkungen: [1] Zuletzt im Jahr 2000 „Faszination Venus – Bilder einer Goettin“, 2002 „Wettstreit der Kuenste“. [2] Ausstellungskatalog Richelieu et le monde de l´esprit, Paris Sorbonne 1985. [3] Katalog der Ausstellung, XVI. [4] Paul Zanker, Augustus und die Macht der Bilder, Muenchen 3. Auflage 1997. [5] Daneben plante er bereits auch die Einrichtung einer Akademie fuer die bildenden Kuenste, die jedoch zu seinen Lebzeiten nicht mehr verwirklicht werden konnte. [6] Katalog, 44. [7] 1627 hatte Urban VIII. im Zuge der Gegenreformation bereits die Propaganda Fide ins Leben gerufen. [8] Das im Katalog abgebildete, instruktive, dreidimensionale Modell von Schloss Richelieu befindet sich leider nicht unter den Exponaten. [9] Titus galt schon seinen Zeitgenossen als milder und vorbildhafter Kaiser, vgl. die Biographie von Sueton. [10] Marchese Pompeo Frangipani erwaehnt in einem Brief vom 19. Mai 1636 an Richelieu die Fertigstellung von zwei Gemaelden mit Bacchanten, die Poussin „Ihren Wuenschen und Absichten entsprechend“ gemalt hatte. [11] Katalog, 5 und Kat.Nr.121, S.184ff. [12] Erik Forssman, Dorisch, Ionisch, Korinthisch. Studien ueber den Gebrauch der Saeulenordnungen in der Architektur des 16.-18. Jhs., Stockholm 1961, Reprint Braunschweig/Wiesbaden 1984, 50ff, bes. 53 mit Zitaten aus franzoesischen Architekturtraktaten. * * * Copyright (c) 2003 by H-ArtHist (H-NET) and the author, all rights reserved. This work may be copied for non-profit educational use if proper credit is given to the author and the list. For other permission, please contact H-ArtHist@h-net.msu.edu. 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