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[Editor's note: cross-posted from H-SOZ-U-KULT@H-NET.MSU.EDU] H-NET BOOK REVIEW Published by H-Soz-u-Kult@h-net.msu.edu (February, 2002) David Cannadine. _Ornamentalism. How the British Saw Their Empire_. London: Allen Lane, 2001. 264 S. Bibliographie. 18,99 Pfund (gebunden), ISBN 07-139-950-68. Reviewed for H-Soz-u-Kult by Gerhard Altmann <altmanng@yahoo.de>, Universität Freiburg Die Tatsache, dass das britische Empire mittlerweile aus der Erinnerung der meisten Briten entschwunden ist und einschlaegige Umfragen regelmaessig haarstraeubende Unkenntnis darueber blosslegen, hat dessen Erforschung keinerlei Abbruch getan. Mit der Uebergabe Hongkongs an einen neuen Zwingherrn 1997 wurde das letzte grosse Kapitel britischer Imperialgeschichte geschlossen. Der verbleibende Streubesitz ist geographisch zwar kurioserweise so plaziert, dass Schillers einst auf Spanien gemuenztes Apercu vom Reich, in dem die Sonne nie untergeht, weiterhin auch auf die britischen Ueberseeterritorien zutrifft. Doch abgesehen vielleicht von Gibraltar duerfte keines davon so hohe Wellen schlagen, dass sich diese erst an den Klippen von Dover brechen wuerden. David Cannadine nutzt die wachsende Distanz zum Imperium, um dessen Gestaltungsprinzipien Revue passieren zu lassen. Dabei kann er eingangs nicht umhin, die eigenartige Kluft zwischen der Geschichte des Empire und der Grossbritanniens zum Ausgangspunkt seiner buendig geschriebenen Studie zu machen. Historiker haben naemlich bis in juengste Zeit selten einen Gedanken darauf verschwendet, die imperiale und die "metropolitane"Geschichte als Einheit, als die beiden Seiten derselben Medaille zu betrachten. Anknuepfend an ein frueheres Buch [1] deutet Cannadine das Empire hingegen als Ausdehnung der heimischen Sozialstrukturen nach UEbersee. Das Empire fungierte demgemaess als Projektionsflaeche sozialer Wahrnehmungsroutinen, die eine "vast interconnected world" (P. D. Morgan)schufen, in der sich die Eliten der imperialen Expansion bestens zurechtfanden. Cannadine richtet sein Hauptaugenmerk also auf die "construction of affinities" (XIX) und setzt sich damit von einem Kult des "fremden Blicks" ab, der aufs engste mit dem Namen Edward Said verbunden ist. Obwohl gerade durch die Aufklaerung die Andersartigkeit indigener Kulturen staerker konturiert wurde, buesste das Denken in Analogien nichts von seiner Anziehungskraft ein, wie 1881 der deutsche Thronfolger bei einer Londoner Party mit dem Prince of Wales und Koenig Kalakaua von Hawaii drastisch zu spueren bekam. Der spaetere Edward VII.weigerte sich beharrlich, dem Draengen seines preussischen Schwagers nachzugeben und den exotischen Monarchen in der Rangordnung hinter dem ungehaltenen Hohenzollernprinzen einzureihen. Die "stratification and Gothicization" (34) der Dominions bereitete kaum Probleme, liessen sich dort doch vorwiegend weisse Siedler nieder, die auf anderen Kontinenten oft einen Lebensstil bewahren wollten, der zuhause im Mahlstrom von Industrialisierung und Verstaedterung zerrieben zu werden drohte. Derselbe Mechanismus funktionierte nach der Mutiny 1857 auch in Indien, wo man nun den Versuch aufgab, die Inder vehement zu "anglisieren" und - durch einen beispielsweise von Macaulay befuerworteten "gerechten Despotismus" - den Tentakeln einer in Aberglauben und Rueckstaendigkeit wurzelnden Kultur zu entreissen. Ploetzlich galt das Kastenwesen als bewundernswerte Facette einer "zeitlosen" Zivilisation, die in den farbenpraechtigen Maharadschas mit deren auf altehrwuerdig getrimmten Schloessern ihren kroenenden Eckstein besass. In den Kolonien wiederholte sich en miniature dieser Rueckgriff auf lokale Eliten, die zum Zweck reibungsloser Kollaboration haeufig erst aus dem Boden gestampft werden mussten. Besonders folgenschwere Auswirkungen zeitigte dieses Verfahren der Modellierung kolonialer Fuehrungsschichten nach britischem Vorbild in den Mandatsgebieten des Nahen und Mittleren Ostens. Auf der Konferenz von Kairo 1921 klonten der Kolonialminister Churchill und T. E. Lawrence quasi arabische Monarchien aus dem Stamm Sherif Husseins. Die neuen Herrscher im Irak und in Jordanien ermoeglichten den Briten ein "Empire on the cheap"sowie die Projektion schwuelstiger Phantasien auf die zu unverbildeten, nicht von den Zersetzungserscheinungen einer egalitaeren Zivilisation infizierten Gegenexistenzen stilisierten Beduinen. Noch 1963 schimmerte diese Idee durch, als die von einer nationalistischen Mittelschicht in Schach gehaltene Kolonie Aden mit dem zutiefst traditional gepraegten Hinterland zwangsvereinigt wurde, um der zusehends unkontrollierbaren Agitation die Spitze zu nehmen. Cannadine verweist auf zwei tragende Stuetzpfeiler dieser hierarchisch gestaffelten Empirefamilie. Zum einen ergoss sich seit Mitte des 19. Jahrhunderts ein Sturzbach verschiedenster Orden und Ehrungen auf die Prokonsuln und Feldherren des Empire, aber eben auch auf die indigenen Sachwalter der Krone, die so in das semiotische Geflecht eines auf Distinktion gepolten Sozialsystems integriert wurden. Zum anderen trat die britische Monarchie immer staerker ins Zentrum des imperialen Spektakels, zumal seit Benjamin Disraeli Koenigin Viktoria 1876 zur Kaiserin von Indien befoerdert hatte. Ein Abglanz dieser prunkvoll inszenierten und bei sogenannten Durbars auf dem Subkontinent mehrfach replizierten Erhebung streifte auch die gekroenten Haeupter und Notabeln des Imperiums. Cannadine verdichtet diese schillernden Aspekte zum Konzept des Ornamentalismus, das sich in der Sichtbarmachung von Hierarchie manifestiert und das Kardinalprinzip der imperialistischen Sozialordnung darstellte. Die solchermassen institutionalisierte Ungleichheit immunisierte das Empire gegen Rassismus, denn wo Weisse wie Farbige ihren Platz in der Gesellschaft auf der Grundlage askriptiver Klassekriterien zugewiesen bekommen, wird die Hautfarbe bestenfalls zu einem sekundaeren Unterscheidungsmerkmal.Joseph Schumpeter hatte bereits frueh die Interessenidentitaet zwischen den jeweils tonangebenden Schichten in Europa und UEbersee herausgestrichen.[2] In einer jaehen Antiklimax schuettet Cannadine dann freilich Wasser in den zuvor kredenzten Wein. Die Wirklichkeit liess sich naemlich selten die britische Sehnsucht nach kristallklaren Hierarchien und gehorsamen Statthaltern anverwandeln. Im Nahen Osten kochten viele der von den Geopolitikern in London gesalbten Potentaten ihr eigenes Sueppchen und stiessen obendrein als Lakaien einer fremden Macht beim Gros der Bevoelkerung auf scharfe Ablehnung. Die Bewohner der Dominions wiederum hatten nicht selten aus Verdruss ueber eine starre Klassengesellschaft ihrer Heimat den Ruecken gekehrt. Und trotz des Wunsches, in Indien ein statisches Kastenwesen zu konservieren, schlich sich der Fortschritt durch die Hintertuer herein:dank moderner Kommunikationsmittel, Handelsgepflogenheiten und Hygienemassnahmen. So blieb den Kolonialherren am Ende nichts anderes uebrig, als eine abrupte Kehrtwendung zu vollziehen, um das Empire moeglichst unblutig abzuwickeln. Lloyd George hatte 1921 ein spaeter rege nachgeahmtes Exempel statuiert, als er der irischen Aristokratie unversehens den Laufpass gab und zur Loesung der leidigen Irlandfrage die republikanische Karte spielte. Nach dem Zweiten Weltkrieg schwenkten britische Regierungen notgedrungen auf die Seite der revoltierenden Nationalisten, bildeten "prison graduates" in Crashkursen zu respektablen Staatsmaennern aus und ueberliessen die ehemals umgarnten traditionellen Eliten (oder was man dafuer hielt) ihrem Schicksal.Cannadine kann der Rhetorik vom Commonwealth als der eigentlichen Erfuellung der imperialen Idee nur ein muedes Laecheln abgewinnen.Denn das Commonwealth stellte mit seinem Stich ins Egalitaere die genaue "Antithese"(167) des Empire dar. Dessen Ende wirkte im uebrigen auch wie ein Katalysator des "decline of deference", das nicht einmal die Monarchie verschonte und fuer die britische Gesellschaft selbst die wohl greifbarste Konsequenz der Dekolonialisierung war.In einer aufschlussreichen biographischen Notiz geht Cannadine der heute kontrovers diskutierten Frage nach, wie stark sich die britische Bevoelkerung vom Empire in dessen Bann schlagen liess. Cannadine, Jahrgang 1950, sieht seine Generation als die letzte, die ueberhaupt noch die Chance einer "imperialen Kindheit"hatte. Insgesamt ueberwog aber auch in ihr Desinteresse oder von Erkenntnis nicht getruebter Stolz auf ein fernes Imperium, das fuer die meisten eher "an internal state of mind than an external way of life"(197) war. Cannadines mit einem Sinn fuers Plastische gewaehlte und bibliographisch umfassend belegte Schlaglichter erhellen zweifellos einen zentralen Gesichtspunkt der imperialen Expansion Grossbritanniens. Der raffinierte Versuch, indigene Kulturen nach dem Muster der heimischen Gesellschaft hierarchisch zu formatieren, ersparte den Kolonisierern sowohl die Etablierung kostspieliger Parallelstrukturen als auch ein geruettelt Mass an Einfuehlungsvermoegen. Freilich bleibt offen, inwiefern die von Cannadine selbst skizzierte krasse Unzulaenglichkeit dieses Analogieverfahrens die Kernthese seiner Studie beeintraechtigt. Des weiteren faellt es schwer, an die sozial-hierarchische Staffelung als probates Mittel gegen rassistische Vorurteile zu glauben. Zum einen speiste sich rassistisches Denken historisch nicht zuletzt aus den trueben Quellen aristokratischer Blutklassifikation. Zum anderen zeigen gerade die Konzepte britischer Gesellschaftstheoretiker wie Malthus oder Spencer, dass die Grenzen zwischen "social engineering" und Rassismus leicht verschwimmen.Schliesslich deutet Cannadine lediglich en passant an, weshalb die historiographische Kluft zwischen Empire und "Mutterland" moeglicherweise nicht bloss von einer methodisch unerquicklichen Arbeitsteilung herruehrt.Wenn naemlich das Imperium ohnehin nicht viel mehr als die Erstreckung der britischen Lebenswelt auf andere Kontinente widerspiegelte, dann nimmt es nicht wunder, dass es im britischen Gedaechtnis wenige authentische Spuren hinterlassen hat. Nach dem end of Empire machte sich dessen Fehlen folglich kaum bemerkbar. Es konnte daher einem autarken Zweig der Geschichtswissenschaft ueberantwortet werden. Anmerkungen: [1] David Cannadine, Class in Britain, New Haven 1998. [2] Joseph Schumpeter, Zur Soziologie der Imperialismen, Tuebingen 1919. 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